Die neue VwV Beschaffung: Kompromisspapier mit deutlichen Schwächen bei globaler Verantwortung

„Wir werden am Prinzip der Nachhaltigkeit als zentralem Entscheidungskriterium des Regierungs- und Verwaltungshandelns festhalten”, so steht es im grün-schwarzen Koalitionsvertrag vom Juni 2016. Seither hat die Landesregierung darum gerungen, die Beschaffungsregeln des Landes mit der Reform des Vergaberechts auf Bundesebene und den eigenen Grundsätzen in Einklang zu bringen. Aus einem Guss ist das Ergebnis, die neue VwV Beschaffung, die am vergangenen Dienstag vom Kabinett beschlossen wurde, unter der Perspektive von Nachhaltigkeit und globaler Verantwortung nicht: Das Bestreben, die Unternehmen vor vermeintlich unangemessenen Belastungen zu bewahren, hat sich an vielen Stellen gegenüber der Stärkung der nachhaltigen Beschaffung durchgesetzt. Aus entwicklungspolitischer Persepktive ist es da auch kein Trost, dass bei der Beschaffung von Lebensmitteln eine Quote von 20 Prozent Bio empfohlen wird und beim Software-Kauf der bevorzugte Einsatz von Open-Source-Produkten zu prüfen ist.

Nachhaltigkeit: grundsätzlich schon – irgendwie ...

Gemessen an dem im Koalitionsvertrag formulierten Anspruch hätte man erwarten dürfen, dass Nachhaltigkeit als Grundsatz bei der Auftragsvergabe des Landes verankert wird. Der Versuch ist erkennbar, aber noch nicht einmal für eine eigene Überschrift für die nachhaltige Beschaffung hat es gereicht. Immerhin steht dann unter „Ziele und sachlicher Anwendungsbereich”, dass es Ziel der Landesregierung sei, der nachhaltigen Beschaffung größeres Gewicht zu geben. Und unter „Grundsätze” findet sich ein Abschnitt mit der etwas verschwurbelten Überschrift „Berücksichigung nachhaltiger Ziele der Landesregierung”.

Ganz und gar nicht im Sinne einer klaren Orientierung am Prinzip der Nachhaltigkeit ist die eigenwillige Erweiterung des Nachhaltigkeitsbegriffs um die Dimensionen Qualität und Innovation: „dabei heißt Nachhaltigkeit ..., qualitative, innovative, soziale, umweltbezogene und wirtschaftliche Aspekte gleichberechtigt zu berücksichtigen”. Da war die alte Fassung der VwV Beschaffung eindeutiger: „Dabei heißt Nachhaltigkeit ..., ökologische Aspekte gleichberechtigt mit sozialen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu berücksichtigen ...”

Angesichts der Aufweichung des Nachhaltigkeitsbegriffs erscheint es dann fast schon konsequent, dass in der Liste der Ziele und Leitsätze des Landes, die bei der Beschaffung berücksichtigt werden sollen, weder die Naturschutzstrategie noch die Landesstrategie Ressourceneffizienz genannt werden. Selbst die Nachhaltigkeitsstrategie fehlt in der Liste.

Damit nicht genug: Viele Regelungen in der neuen VwV Beschaffung zur Berücksichtigung nachhaltiger Aspekte werden durch Formulierungen relativiert, die in der Sache ungerechtfertigt sind und den Eindruck vermitteln, nachhaltige Beschaffungen seien aufwändiger und rechtlich problematischer als andere. Beispielsweise muss der Hinweis, nachhaltige Aspekte seien zu berücksichtigen, „soweit mit verhältnismäßigem Aufwand möglich und sachgerecht und sofern ein sachlicher Zusammenhang mit dem Auftragsgegenstand besteht”, so gelesen werden. Und laut VwV Beschaffung setzt die Berücksichtung von fair gehandelten Produkten im Rahmen der Zuschlagskriterien voraus, „dass die für die Ausschreibung relevanten Kriterien des fairen Handels in der Leistungsbeschreibung aufgeführt sind”. Die Vorgabe, dass Zuschlagskriterien in der Leistungsbeschreibung genannt werden müssen, gilt für alle Zuschlagskriterien, ist also keine spezifische Anforderung bei der Beschaffung fair gehandelter Produkte.

Widersprüche zur Vergaberechtsreform

Auch wenn das für Laien kaum mehr nachvollziehbar ist: In den Details weicht die neue VwV Beschaffung zum Teil gravierend von den Regelungen auf Bundesebene ab: Aus entwicklungspolitischer Perspektive am ärgerlichsten ist das ausdrückliche Verbot, die Einhaltung der Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) als Zuschlagskriterium zu Grunde zu legen. Das wird lediglich als zusätzliche Bedingung an die Vertragsausführung zugelassen. Diese Einschränkung verhindert es, die Einhaltung der ILO-Kernarbeitsnormen bei der Angebotswertung zu berücksichtigen und Anbieter zu bevorzugen, die sich um gute Bedingungen in ihrer Lieferkette bemühen. Und aus der Soll-Vorschrift, bei Risikoprodukten auf die ILO-Kernarbeitsnormen zu achten, wurde eine Kann-Regelung – wenngleich zwei Absätze weiter die Soll-Vorgabe wohl übersehen wurde.

Ein zentrales Element der Vergaberechtsreform war die Klarstellung, dass nachhaltige Aspekte sich auch auf immaterielle Produkteigenschaften beziehen dürfen, also solche, die sich auf „den Prozess oder die Methode zur Herstellung oder Erbringung der Leistung oder auf ein anderes Stadium im Lebenszyklus des Auftragsgegenstands einschließlich der Produktions- und Lieferkette beziehen, auch wenn derartige Faktoren keine materiellen Bestandteile der Leistung sind ...” (so § 23 Absatz 2 Unterschwellenvergabeordnung). Dieser Hinweis findet sich in der VwV Beschaffung nur als Option für die Leistungsbeschreibung und nur für Auftragsvergaben oberhalb des EU-Schwellenwertes. Dass immaterielle Produkteigenschaften mindestens auch in den Zuschlagskriterien und auch unterhalb der EU-Schwellenwerte berücksichtigt werden können, wird nicht erwähnt.

Auch die Verwendung von Gütezeichen als Nachweis für die Einhaltung geforderter Produktmerkmale wird in der VwV Beschaffung – ebenfalls im Widerspruch zu den Regelungen auf Bundesebene – nur als Option in der Leistungsbeschreibung angesprochen, nicht für die Zuschlagskriterien.

Fortschritte in einigen Details – aber vergebene Chancen in wichtigen Punkten

Zu begrüßen ist, dass die ILO-Kernarbeitsnormen bei der Beschaffung von Risikoprodukten nicht mehr nur berücksichtigt werden sollen (können?), wenn diese aus „Afrika, Asien oder Laterinamerika” stammen. Vielmehr ist nun die DAC-Liste der Entwicklungsländer und -gebiete der Organsation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) zu Grunde zu legen. Diese umfasst auch einige europäische Staaten, bei denen die Durchsetzung grundlegender Arbeitsstandards nicht als selbstverständlich vorausgesetzt werden kann.

Für ein wenig mehr Klarheit sorgt auch, dass zu den Risikoprodukten nicht mehr „Billigprodukte aus Holz” zählen, sondern Holzprodukte allgemein. Dagegen ist es bedauerlich, dass die Überarbeitung der VwV Beschaffung nicht genutzt wurde, um die Liste der Risikoprodukte um Informations- und Kommunikationstechnologie zu ergänzen. Die Landesverwaltung darf also weiterhin IT-Produkte beschaffen, bei deren Herstellung grundlegende Sozialstandards nicht beachtet werden.

Ein weiterer Schwachpunkt der alten VwV Beschaffung wurde ebenfalls nicht korrigiert: Eigenerklärungen der Bieter und unabhängige Nachweise für die Einhaltung der ILO-Kernarbeitsnormen werden weiterhin als gleichwertig anerkannt. Der Dachverband Entwicklungspolitik Baden-Württemberg (DEAB) und der BUND Baden-Württemberg hatten in ihrem gemeinsamen Positionspapier vom Dezember 2017 gefordert, dass Bietererklärungen als „Nachweis“ für die Beachtung der ILO-Kernarbeitsnormen nur akzeptiert werden sollten, wenn in der Produktgruppe und/oder in dem jeweiligen Land kein unabhängiger Nachweis verfügbar ist.